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Kommt Matthias Barth oder einer seiner Hofmitarbeiter in die Nähe, treten die Schweine heraus, alle auf einmal, neugierig, rangelnd, hier und da raufend. Foto: Rüdiger Bäßler

Luft und Sonne in den Stall
Der Landwirt Matthias Barth setzt Standards in artfreundlicher Schweinehaltung. Für den Bauernverband ist er damit ein Exot, für seine Kundschaft ein Vorreiter.

Auch Matthias Barth kann nicht sagen, wann genau das Essen eigentlich so wahnsinnig politisch geworden ist, oft bis ins Halbreligiöse hinein, als ob es um Untergang oder Weltrettung ginge, Gut oder Böse, Fleisch oder nicht Fleisch. Es war jedenfalls schon so, als er in Nürtingen in seinen Vorlesungen zur Agrarwirtschaft saß. Dort ging er am Ende mit einem Bachelor raus, bekam bald darauf vom Vater den landwirtschaftlichen Betrieb in Suppingen im Alb-Donau-Kreis übereignet, einschließlich der ganzen Verantwortung und dem Gefühl, von Besserwissern umzingelt zu sein. Sechste Generation! Jetzt ist er 30 Jahre alt, hat gerade geheiratet und sagt: „Ich bin im Herzen Unternehmer. Ich habe einen tollen Beruf.“

Das klingt nach einem Himmel voller Geigen, wie aus einem Nora-Roberts-Kitschroman. Leider ist das die falsche Spur. Der Jungunternehmer hat noch andere Kapitel drauf, zum Beispiel übers Thema Fleischsteuer, beziehungsweise den Tierwohl-Cent, wie der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir formuliert. „Da“, sagt Bauer Barth, „kriege ich das Kotzen.“

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Was hält er von Cem Özdemir?

Dabei dürfte Özdemir seinerseits ziemlich stolz auf den Suppinger Branchenvertreter sein, er hätte ihm diesen Oktober sogar persönlich einen Förderbescheid vorbeigebracht, wie ihn zuvor noch kein Landwirt in Baden-Württemberg bekommen hat: 1,3 Millionen Euro Einzelzuwendung aus dem Bundesprogramm zur Förderung des Umbaus der landwirtschaftlichen Tierhaltung. Der Minister wurde aber plötzlich krank, es blieb bei einer Pressemitteilung. Dafür ist die erste Tranche Geld mittlerweile ausbezahlt. Der allerschlechteste Landwirtschaftsminister sei Özdemir ja auch nicht, relativiert Barth, er sei halt „nur zur falschen Zeit da“.

Eine Zeit, in der die Bauernschaft sich auf die Traktoren geschwungen hat, um in die Städte, vor Flughäfen und die Auslieferungslager von Supermarktkonzernen zu fahren und gegen die Abschaffung des Agrardiesels, verschärfte Pestizid-Verordnungen, gegen die Übermacht der Supermarktkonzerne, überhaupt die ganze gefühlte Missachtung des Berufsstandes zu protestieren. Barth war auf seinem Schlepper dabei, „weil ich’s definitiv eine Sauerei fand“, in Stuttgart, Ulm und Biberach. Und jetzt auch noch das Mercosur-Abkommen, die Angst vor argentinischen Billigsteaks. Da sei die Bauernschaft „wieder mal verkauft“ worden.

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Überbordende Umweltvorgaben, strengere Tierschutzvorgaben

Die Unkenrufe des Untergangs aus der Bauernlobby, die gerne erzählt, wie machtlos sie sei, haben sich vielfach bewahrheitet. Nach Angaben des Landesbauernverbandes Baden-Württemberg existierten im Jahr 2014 noch 2600 Schweinehalter im Südwesten. Jetzt sind es 1490, Tendenz weiter abnehmend. Einer ganz neuen Erhebung zufolge stiegen die durchschnittlichen Unternehmensgewinne der verbliebenen Schweinehalter zuletzt immerhin wieder. Womöglich, heißt es, äßen die Verbraucher nun doch wieder mehr Fleisch.

Afrikanische Schweinepest und chinesische Abbestellungen, überbordende Umweltvorgaben, strengere Tierschutzvorgaben, immer höhere Kosten, aber wenige Kunden, die bereit seien, höhere Preise zu zahlen – der Verband kennt viele Gründe für Hofschließungen. Man könne sich nicht sicher sein, sagt eine Sprecherin, „ob mein heute als ,Tierwohlstall‘ gebauter Stall in ein bis zwei Jahren überhaupt den Anforderungen genügt oder ob schon wieder erneute Investitionen notwendig werden“. Barth kennt einige Namen gescheiterter Kollegen. Andere hätten sich „zu Sklaven von Rewe und Edeka“ gemacht.

Er nicht. Überhaupt geht er ab einem bestimmten Punkt die Branchenmusik nicht mehr mit, und das hat Gründe. Er betreibt nämlich nicht nur bereits einen besonders tierfreundlichen Schweinestall mit „Außenterrassen“ für seine Tiere, Abstammung Deutsche Landrasse, dazu eine stattliche grüne Weide mit Schutzhütten, wo sich Schwäbisch-Hällische-Landschweine tummeln. Er vermarktet nicht nur das produzierte Fleisch vollkommen autark, mit eigenem Metzgerbetrieb, eigenem Hofladen, ständiger Präsenz auf mehreren regionalen Wochenmärkten. Nein, er baut diese kleine Welt mit dem frischen Bundesgeld noch weiter aus. Zentrale Auflage der Ausschreibung: Die Zahl der gezüchteten Tiere muss künftig auf maximal 720 begrenzt bleiben.

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An den Wochenenden steht Barth meist selber im Verkaufswagen

Entlang beider Längsseiten seines Stalls, der dem Ort Suppingen vorgelagert ist, sind die Bodenplatten für die Stallvergrößerung schon gegossen. Kommt der Chef oder einer seiner 25 Hofmitarbeiter in die Nähe, treten die Schweine heraus, alle auf einmal, neugierig, rangelnd, hier und da raufend. Sie hätten viel vom Menschen, scherzt Barth. „Alleine können sie nicht und zusammen auch nicht.“ Sein normaler Arbeitstag sei, von morgens sechs Uhr bis abends um neun zu schaffen, ständig nach den Schweinen zu sehen, zu registrieren, ob „eins den Fuß lupft“ oder hustet. Gerade in der kalten Jahreszeit sei Zugluft eine Gefahr.

Höchste Besorgnis entstehe immer, „wenn ein Schwein nicht aufsteht zum Fressen“. Das Futter sei ein Mix aus deutschem Soja „soweit möglich“, Weizen und Gerste, angebaut auf eigenen Feldern, Mineralfutter und Vitaminergänzer. Das sei teurer als Industriefutter, es gebe aber eine Gegenrechnung: Der Tierarzt sei selten da. „Wir haben kaum noch den Einsatz von Antibiotika.“

An den Wochenenden steht Barth meist selber im Verkaufswagen, wo er als „Eckbauer“ firmiert, und reicht der Marktkundschaft die Ware über die Kassentheke. Da erklärt er, wie er produziert, wie Ämter seinen Betrieb kontrollieren, informiert, wie lange Fleisch haltbar ist, weshalb seine Ware im Durchschnitt rund ein Drittel mehr kostet als bei anderen Anbietern und horcht, was die Leute reden. Es seien Käufer aus allen Gesellschaftsschichten dabei, aber niemals jene, die in den Supermärkten immer nur die billigsten Fleischverpackungen aufs Kassenband knallen. Das Wirgefühl ist Barth wichtig, auf seine Züchterkollegen lässt er nichts kommen. Zu den immer wieder auffliegenden Schwarzmagiern der Zunft, denen Tiere und Kunden am Ende egal sind, sagt er knapp: „Jeder Tierskandal spielt mir in die Karten.“ Eine Generalkritik immerhin formuliert er aus: „Das Problem unserer Branche ist, dass wir nicht den Kontakt zum Endverbraucher haben.“

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​​​Vor dem Verkaufswagen bildet sich eine Schlange

Gegenprobe auf dem Ulmer Wochenmarkt an einem Mittwochmorgen am hinteren Ende des Münsters. Vor dem Suppinger Verkaufswagen hält sich eine kleine Menschenschlange, die höchstens für ein paar Atemzüge einmal kürzer wird. Zufallskäufer sind dabei und Stammkundinnen. Eine ältere Dame sagt, sie komme wegen des Schwäbisch-Hällischen Landschweins, das hier angeboten werde, überhaupt kaufe sie „nur regional“. Eine andere Kundin schwärmt: „Ich folge dem Eckbauer auch auf Facebook. Da kriegt man auch mit, wenn er seine Schweine wieder auf die Weide treibt.“ Und, kein Witz: Ein Herr, 84 Jahre alt, Mantel, Schiebermütze, pensionierter Akademiker nach eigener Auskunft, fragt eine Verkäuferin, ob er mal eine Woche auf dem Hof mitarbeiten könne. Kann er leider nicht.

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Nach Ansicht des Landesbauernverbandes bedient Barth nur eine verschwindend kleine Nische. Bezogen auf das Tierwohl-Label, wie es beispielsweise der Aldi-Konzern auf die Blisterpackungen druckt, sagt die Stuttgarter Sprecherin: „Aktuell zeichnet sich ab, dass die Verbrauchernachfrage nach Produkten der Haltungsstufen drei, vier und fünf im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegen, also dass der Teil der Bevölkerung, der tatsächlich bereit ist, mehr Geld für höhere Haltungsformstufen auszugeben, gering ist.“ Propagiert wird stattdessen eine Haltungsformkennzeichnung des Handels mit dem Titel „Gutes aus deutscher Landwirtschaft“. Alles soll aber streng freiwillig bleiben. Viele Bauern könnten nämlich schon deswegen ihre Ställe fürs Außenklima nicht öffnen, weil dann oft eine zusätzliche, unrentable Abluftreinigungsanlage installiert werden müsste.

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Barth macht seine Slogans lieber selber

Barth, da ist er wieder ganz bei seiner Kollegenschaft, hält das Tierwohl-Label für „Schwachsinn“. Er macht seine Slogans sowieso lieber selber. Seine Schwäbisch-Hällischen, die Autofahrer bei Suppingen am Straßenrand sehen können, bezeichnet er als „Sonnenschweine“. Das zieht.

Bald kommt die vorgezogene Bundestagswahl, da hat der Landwirt, der nicht lange erzählen kann, ohne politisch zu werden, so sein Bauchweh. Matthias Barth würde das Kreuz bei einer Partei machen, die nicht die Landwirte „für alles verantwortlich macht“. Die weiß, dass der Bauer, wenn er Geld hat, „einen Häcksler oder Bulldog kauft“, und keinen Ferrari. Also: Wen wählen? Er weiß es noch nicht, sagt er, entschlossen ausweichend. Bloß Europagegner und Rechte scheiden sicher für ihn aus.

Im Mai, hoffentlich, je nach Wetter und Baufortschritt, wird der neue, geförderte Stall fertig sein. Danach würde Barth gern einen Webcam-Anschluss installieren. Über seine Firmenhomepage könnten Kunden dann jederzeit in den Stall gucken – Vertrauen durch Transparenz. Und über einen Internet-Versandhandel denkt er nach, denn viele seiner Kunden zögen über die Jahre aus der Region fort, könnten dann aber weiter Suppinger Ware bestellen.

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Zum Schluss sagt Matthias Barth, dieser glückliche Zweifler, wirklich noch etwas Euphorisches: „Ich kann jetzt hier neue Maßstäbe setzen.“ Seinen Neubau wolle er im Frühjahr zusammen mit möglichst vielen Menschen eröffnen.

Kann sein, dann spielt wieder der Suppinger Musikverein, wo er selber die Trompete bedient, so wie bei seiner Hochzeitsfeier kürzlich. Der Jungunternehmer freut sich schon: „Das wird ein geiles Hoffest.“

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